Verrückter Van-Life-Road-Trip: Wenn der Weg das schönste Ziel ist!

Bevor im nun mehr weit fortgeschrittenen Jahr 2020 tatsächlich glücklicherweise noch Renntermine realisiert werden können, war es für uns höchste Zeit für den finalen Formfeinschliff zu sorgen. Unser Plan: Die roten Blutkörperchen für die kleine Portion extra Power in der Höhenluft des Bikermekkas Livigno zum Wachstum anregen. Denn wofür hat man schließlich einen Campervan als mobiles Zuhause ausgebaut, der es einem ermöglicht auch seine Nachtruhe auf über 2000 Metern zu verbringen?





Erste Etappe unseres Trips war der malerische Schweizer Bergort Bergün zu Füßen des Albulapasses. Bergün komprimiert auf engstem Raum alles, was das Sehnsuchtsland Schweiz ausmacht: urige Alpenhäuser, kleine Blockhütten, üppige Blumenkästen an jedem Balkongeländer, frisches eiskaltes Bergwasser aus unzähligen Brunnen und das ganze Szenario eingebettet in grüne, saftige Almwiesen mit felsigen Gipfelblicken. An so viel Naturschönheit kann ich mich gar nicht sattsehen. Trotz einiger Meter über Normalnull, zeigte das Thermometer über 30 Grad Außentemperatur im Bergdorf an und die strahlende Mittagssonne in der Höhenluft ließ uns den Sonnenschutz extra sorgfältig auftragen.

Die erste Einheit führte mit einem langen Tempointervall auf den Albulapass. Entlang eines tosenden Wildbaches gibt der Pass einen Einblick in die beeindruckende Streckenführung des Glacier Expresses. Die weltbekannte Schweizer-Schmalspurbahn hat hier wirklich extreme Streckenprofilierungen zu überwinden. Bei den ganzen Eindrücken lief das Intervall wie von selbst und ich war einmal mehr dankbar, dass ich in einer so wunderschönen Landschaft trainieren darf! Where your bike takes you! Schneller als gedacht waren die knapp 1000 Höhenmeter am Stück absolviert und wir waren damit noch tiefer in die Gipfelwelt eingetaucht. Mit so langen Ansteigen können meine heimatlichen Mittelgebirgs-Hügel leider nicht konkurrieren.


Am Abend versorgten wir uns noch in einer der vielen Selbstbedienungs-Bio-Bauernhof-Läden mit frischen Lebensmitteln und setzten unsere Reise nach Livigno fort. Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichten wir einen Stellplatz auf über 2300 Metern und konnten somit die Höhenluft über Nacht wie von selbst auf uns einwirken lassen. Am nächsten Morgen spürte ich die Auswirkungen der dünnen Luft ein Wenig und dies schlug sich auch deutlich in der Auswertung der Erholungskurve, Schlafanalyse und Pulswerten auf meiner Garminuhr nieder. Also es scheint etwas zu bewirken und wirkt somit hoffentlich auch positiv. Nach dem Frühstück mit Blick ins weite Tal sattelten wir die Räder und durchquerten entlang des Panoramatrails auf malerischen Pfaden die Gipfelwelt. Akustisch hinterlegt von ständigen Pfiffen der Murmeltiere und dem sanften Läuten der Kuhglocken, visuell den Blick auf die schneebedeckten Gipfel der umliegenden 3000er gerichtet. Ein Erlebnis für alle Sinne.


Leider währte diese Idylle nur kurz, denn wenig später zwang ein Defekt am Hinterrad meines Lieblingsmenschen zum Abbruch der Einheit. Und nach dem Sichten der problematischen Defektproblematik gab es leider keine guten Nachrichten: Irreparabler Schaden, das Ersatzlaufrad (weiß der Kuckuck warum) im heimischen Keller. Einige Stunden später – gefüllt mit dem erfolglosen Abklappern aller Radläden Livignos – stand fest: Wir müssen nach Hause und das Ersatzlaufrad holen, um den Trainingserfolg nicht zu gefährden. Umständlich, blöd, kompliziert. Aber „hätte, hätte, Fahrradkette“ – nicht zu ändern. Einen Teil des Rückweges nutzte ich für meine zweite Einheit und überquerte den Forcola- sowie den Berninapass zurück in die Schweiz und sog dabei die traumhafte Bergwelt in mich auf. Wir verbrachten die zweite Nacht ebenfalls in über 2300 Metern Höhe auf dem Albulapass. Auch wenn es am nächsten Morgen empfindlich kalt war und regnete, genoss ich die Stille und Weite der Berge und das Vanlife in vollen Zügen.




Das Wetter machte uns damit wenigstens den Abschied etwas leichter. Unser Kurztrip ins Hochgebirge mündete dann schließlich am frühen Nachmittag zu Hause im Flachland. Um den Reisestress nicht überzustrapazieren und nicht noch einen weiteren Trainingstag durch die Fahrerei zu verlieren, beschlossen wir, unser Trainingslager in der Pfalz fortzusetzen. Dort gibt es zwar keine dünne Höhenluft, dafür aber perfekte Trainingsbedingungen und Trails ohne Ende. So fanden wir uns dann also am Abend am Fuße des Kalmits in Neustadt an der Weinstraße wieder. Verrückte Welt: Heimat->Bergün->Livigno->Albulapass->Heimat->Pfalz – uns dies alles in 3 Tagen. Was für ein Roadtrip.


Die fehlende Hochgebirgskulisse wog die Pfalz schließlich durch beständigen Sonnenschein, endlose staubtrockene Trails, erfrischende Bäche, köstliche Bäckerstops und etliche Obstbäume mit reifen Früchten auf.



Bis auf die Wirkung der Höhenluft fehlte es uns trainingstechnisch somit an nichts. Das herrlich entschleunigende Vanlife sorgte dafür, dass mir unser Trip wie eine wunderschöne Ewigkeit vorkam. Wenn man so dicht an und mit der Natur lebt (und das Ganze dann zumeist auch noch ohne Handyempfang), heben sich die Gesetze für Raum und Zeit schnell auf. Der Fokus lag nur auf Training, Essen, Erholen und Genießen. Störquellen oder nervige Ablenkungen gab es nicht.


Wir haben das Beste aus der Situation gemacht und ein wirklich qualitativ hochwertiges Trainingslager absolviert. Aber was lernen wir darauf? Verlasse dich nie auf dein Material und sorge mit allen erdenklichen Ersatzteilen vor. Denn Vorsicht ist besser als Nachsicht.

Aber: Der Weg war diesmal das schönste Ziel!

Nächste Woche steht für mich endlich das erste Rennen der Saison an. Ich starte beim Rothaus Bike Giro. Mein erstes Etappenrennen. Ich bin sehr gespannt und freue mich schon, endlich wieder eine Startnummer am Lenker zu haben.

Bis dahin: Keep on riding,

Vanessa
 

Zitate des Tages:

“Wozu bist du Zweiradmechaniker?”

„Jetzt wollte ich in die Berge und wo bin ich gelandet? Im Pfälzerwald.“

„Schlimmer geht immer.“

„Ich hatte auch schon so ein ganz komisches Gefühl.“

„Die Höhenluft zermürbt dich scheinbar.“

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