Rothaus Bike Giro: Eine all-inclusive Achterbahnfahrt im Hochschwarzwald!

     
Das ich im verrückten Jahr 2020 noch einmal einen Rennbericht in die Tasten hauen kann – dies hätte ich in der Tat kaum für möglich gehalten. Nach ewiger wettkampffreier Durststrecke und einer Rennabsage nach der anderen, flackerte Anfang Juni ein kleines Lichtchen am fernen Horizont auf: Der Rothaus Bike Giro im Hochschwarzwald hatte tatsächlich grünes Licht für die Durchführung eines 4-tägigen Etappenrennens bekommen und ließ 500 Starter zu. Ich zögerte wirklich keinen Moment und zack hatte ich schon auf Anmelden geklickt. Denn ich hatte Angst, keinen der limitierten Plätze mehr zu ergattern. Meinen Lieblingsmenschen meldete ich auch direkt an – so Erlebnisse muss man schließlich teilen. Erst wenig später – nachdem die erste „Endlich-wieder-Rennen-fahren“-Euphorie etwas abebbte, realisierte ich, dass

a) ich noch nie ein Etappenrennen gefahren bin – und mich nun direkt für 4 Renntage am Stück angemeldet habe.

b) ich überhaupt noch nie ein einzelnes Rennen mit einer Rennlänge, wie es mich beim Giro erwartet, gefahren bin.

c) ich den Übergang meiner geliebten Speed-Kurzstrecken zu längeren Distanzen wohl fließend und ohne Proberennen absolvieren werde.

Kurzum: Ich schmiss mich damit selbst ins kalte Wasser, war aber optimistisch, dass ich es schon irgendwie ans Ufer – ähm ins Ziel – schaffen werde. Hauptsache endlich wieder eine Startnummer am Lenker. Und es motivierte für das Training ungemein, endlich ein greifbares Ziel vor Augen zu haben.


So zogen die Trainingswochen ins Land und ehe man sich versah, war es auch schon Mitte August. Die Abreise in den Schwarzwald stand unmittelbar bevor. Da wir glücklicherweise mit unserem Campervan anreisten, konnte ich diesen Trip ins Unbekannte vorab bis ins kleinste Detail planen und alles ins Auto verladen. Sonnenschutz, Regenschutz, Kälteschutz (wir weilten schließlich auf über 1000 Meter über Normalnull), die freie Rolle (wo um alles in der Welt war diese noch gleich abgetaucht?), Skinsuits für jeden Renntag, Essenvorräte (denn was werden wir Unmengen an Kalorien verbrennen) und so weiter und so fort. Ich sage euch, das Platzangebot im VW Crafter ist groß.

Wir reisten bereits am Vortag an und nutzten die Zeit zum Akklimatisieren, Akkreditieren und Aufsaugen der besonderen Atmosphäre im Fahrerlager. Es ist beeindruckend, wenn so viele Sportler mit der gleichen Motivation an einem Ort zusammenkommen. Was ich übrigens nicht wusste war, dass scheinbar 80 Prozent aller Wettkampf-Radsportler auch im Besitz eines mobilen Zuhauses sind. Außenstehende haben sicher angenommen, dass es sich um eine Caravan- und Campingmesse handelt – so groß war die Auswahl und Vielfalt der verschiedensten Caravantypen.


So bevor ich abschweife, sollte ich mich nun aber dem Kern der bunten Reise widmen: Dem Rennen fahren. 4 Etappen, rund 230 Kilometer, über 6000 Höhenmeter, 2 Etappenorte – so lautete der Plan für die nächsten Tage.

Tag 1: Schnell, heiß, staubig

Ich war so unglaublich aufgeregt vor der ersten Etappe, dass ich fast gar nicht mehr klar denken konnte. Die ganze Situation verschärfte die Tatsache, dass der Start erst um 15 Uhr war. So hatte ich also auch noch den ganzen halben Tag lang Zeit nervös zu sein. Als wir uns dann in brütender Nachmittagshitze bereits medium gegart im Startblock eingefunden hatten, war ich fast erleichtert, dass das Warten ein Ende hatte und es endlich losging. Der erste Tag war sanft: Nur 22 Kilometer mit 600 Höhenmetern versprachen ein schnelles Rennen für die rund 450 Starter. Also perfekt für den Einstieg nach fast 11 Monaten Rennabstinenz. Wir Elite-Frauen (also Fahrerinnen mit Rennlizenz) hatten einen eigenen Start im Feld und dieser war so rasant, dass ich zunächst gar nicht wusste, wo vorne und hinten ist. Nach ein paar Minuten fand ich aber ganz gut ins Rennen, das Feld hatte sich etwas sortiert. Bei Kilometer 8 nutzte ich dann meine Chance und setzte mich im Anstieg ab. Die Führung hielt ich sogar bis Kilometer 20, wo ich dann in einer Schotterabfahrt hinunter ins Ziel von zwei Fahrerinnen überholt wurde. Mit meinem überraschenden dritten Platz war ich aber extrem zufrieden und somit voller Motivation für Etappe 2.



Tag 2: Bergauf – bergab. Was mag ich wohl lieber?

65 Kilometer, 2000 Höhenmeter – das längste Rennen meines Lebens. Auch heute knallte die Sonne ohne Erbarmen vom Himmel. Im Startblock verzeichnete der Garmin bereits um kurz vor 10 Uhr eine Temperatur jenseits der 30 Grad Marke. Das Anfangstempo des Frauenfeldes war heute zunächst etwas zahmer, jedoch verlor ich in der ersten Schotterabfahrt den Anschluss an die Spitzengruppe. Die Etappe wartete mit 2 Runden auf, die jeweils mit einem rund 700 Höhenmeter langen Anstieg versüßt waren. Eigentlich ein Fest für mich als Bergfahrerin. Mit den Abfahrten kam ich heute jedoch überhaupt nicht zurecht und verlor dort so viel Zeit und Kraft, die ich bergauf überhaupt nicht mehr gut machen konnte. Dennoch hielt ich meine Leistung recht konstant – auch, wenn mir die Hitze  sehr zu schaffen machte. Man konnte gar nicht so schnell nachtrinken, wie man es wieder ausschwitzte. Am Ende reichte es für den 7. Platz und ich war froh, diese Etappe gemeistert zu haben. Fazit des Tages: Es nutzt dir nichts, wenn du nur berghoch schnell bist! Trotzdem war ich mit mir selbst zufrieden – und das ist schließlich das aller Wichtigste.

Tag 3: Von allem etwas bitte.

Ein völliges Kontrastprogramm bot der Rennmorgen der 3. Etappe. Regen prasselte aufs Dach, hektisch wurden dicke Jacken und Mützen übergeworfen. Wo um alles in der Welt war jetzt plötzlich der Hochsommer hin? Und das ganze ausgerechnet am Tag der Königsetappe. 75 Kilometer, über 2000 Höhenmeter, sehr technisch. Somit ein neues längstes Rennen meines Lebens. Kurz, aber wirklich nur ganz kurz hatte ich überlegt auf einen Start zu verzichten, weil ich so viel Respekt vor den nassen und schlammigen Trails hatte. Aber es überwog natürlich die Willensstärke und so ging es wieder um Punkt 10 Uhr los auf die lange Etappe. Der Wettergott hatte sogar ein Einsehen und schloss die Regenschleusen recht zeitig. So war es zwar weiterhin noch schlammig und feucht, jedoch kam von oben nichts Nasses mehr nach. Ich verlor schnell den Überblick im Feld und fuhr einfach mein eignes Tempo. Zu meinem eignen Erstaunen lagen mir die technischen Passagen deutlich besser als die „schwimmschottrigen-Waldautobahn-Abfahrten“. Das Rennen wurde immer besser und ich konnte mein Tempo insbesondere in den wurzeligen Trailauffahrten noch einmal steigern. Im Ziel reichte meine Performance dann sogar für den 6. Platz und damit war ich wirklich mehr als glücklich! Ich fragte mich nur, wie ich jemals den Gedanken haben konnte, nicht starten zu wollen.


Tag 4: Alles hat ein Ende…

Die Beine und der Körper zeigten sich vom Gefühl her auch nach 3 Renntagen am Stück noch in erstaunlich guter Konstitution und ich war gespannt, ob sich dieser Eindruck auch während des Rennens bestätigen würde. Die letzte Etappe hielt noch einmal 75 Kilometer und rund 1500 Höhenmeter bereit. Der Start war recht verhalten, das Frauenfeld blieb lange zusammen. Ich wiederholte meine Defizite jeden Tag aufs Neue und verlor den Anschluss an die Spitzengruppe irgendwann in einer Abfahrt. Am Berg kämpfte ich mich dann stets wieder ein paar Plätze nach vorne, um diese dann bergab wieder einzubüßen. Deswegen freute ich mich umso mehr auf Kilometer 40, denn ab dort sollte es laut Höhenprofil nur noch stetig bergauf gehen bis ins Ziel. Ich nutzte meine Chance und setzte mich in der Verfolgergruppe ab. Glücklicherweise konnte ich meine Position halten und als 5. Frau ins Ziel fahren. Im Gesamtklassement reichten meine Platzierungen der der letzten vier Renntage für den 6. Platz.

Mein Resümee nach meinem ersten Etappenrennen?

Es war eine echte Achterbahnfahrt. Mit Höhen und Tiefen. Mit Momenten, in denen ich mich ernsthaft gefragt habe, warum um alles in der Welt ich mich für ein Etappenrennen angemeldet habe. Aber im nächsten Augenblick wusste ich es wieder: Weil ich den Radsport liebe. Weil ich nichts anderes tun möchte. Rückwirkend betrachtet spiegeln diese 4 Tage die intensivsten Radsporterfahrungen meines Lebens wieder. Ich bin am ersten Tag in eine Blase abgetaucht – in eine Welt, die 4 Tage lang nur aus schnell Radfahren, Essen, Erholen und Schlafen bestand. Das mag für außenstehende Nichtsportler vielleicht etwas ernüchternd klingen, doch diese kleine Welt ist alles, was wir Leistungssportler brauchen. Unser Lebenselixier ist der Radsport und ein Etappenrennen ist somit wie ein all-inclusive Urlaub. In diesem werden die hart erarbeiteten Trainingsergebnisse nach außen getragen und man kann sich endlich mit anderen Sportlern messen. Ich war wie im Rausch – ein Flow, der gefühlt noch ewig hätte weitergehen können. So kam nach der Zieleinfahrt der letzten Etappe fast Wehmut auf. Schon vorbei? Ich will am liebsten einfach weiterfahren. Ob ich noch einmal ein Etappenrennen fahre? Sagt mir wann, ich bin dabei!


Und nun zu guter Letzt: Danke an das Team vom Rothaus Bike Giro, das ihr dieses tolle Event möglich gemacht habt. Es war eine große Freude bei euch zu Gast zu sein und ihr habt diese 4 Tage zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht. Die Strecken, die Organisation und eure Kompetenz – das war wirklich ein Fest.

Danke auch an meinen Trainer (training-mit-koepfchen.de), dass du mich bestens auf diese Reise vorbereitet hast. Ohne deine perfekte Planung hätte das Projekt niemals funktioniert. Danke auch an alle, die mich am Streckenrand angefeuert haben – insbesondere an die Betreuer der EFG Bunstruth Racing – das hat mich sehr gepusht.

Während ich nun die letzten Tage schon nach einer neuen Herausforderung forschte, kam die Meldung, dass es in diesem Jahr tatsächlich doch noch eine Deutsche Meisterschaft im Marathon im Rahmen des Odenwald Marathons geben wird. Somit gibt es jetzt tatsächlich noch einen greifbaren Wettkampf für mich. Ich freue mich schon auf die nächsten Trainingswochen.


Bis dahin: Keep on riding,

Vanessa


Was ich noch völlig vergessen habe: Den Schwarzwald! Ich war nämlich völlig geplättet, wie schön es dort ist. Fälschlicherweise habe ich mit dem Schwarzwald stets ein langweiliges Rentner-Wander-Paradies assoziiert. Nun wurde ich aber eines Besseren belehrt: Beeindruckende Täler, sanfte Almwiesen mit glücklichen Milchkühen, idyllische Holzhäuser in den Weiten der Berghänge, Ausblicke bis ins Alpenvorland, glasklar Badeseen und das Ganze wenig touristisch überlaufen. Das ruft also dringend nach weiterer Erkundung meinerseits unter der Rubrik „Fahr doch mal hin“. Ich werde berichten.

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