Rothaus Bike Giro: Eine all-inclusive Achterbahnfahrt im Hochschwarzwald!
a) ich noch nie ein
Etappenrennen gefahren bin – und mich nun direkt für 4 Renntage am Stück
angemeldet habe.
b) ich überhaupt noch nie ein
einzelnes Rennen mit einer Rennlänge, wie es mich beim Giro erwartet, gefahren
bin.
c) ich den Übergang meiner
geliebten Speed-Kurzstrecken zu längeren Distanzen wohl fließend und ohne
Proberennen absolvieren werde.
Kurzum: Ich schmiss mich damit
selbst ins kalte Wasser, war aber optimistisch, dass ich es schon irgendwie ans
Ufer – ähm ins Ziel – schaffen werde. Hauptsache endlich wieder eine
Startnummer am Lenker. Und es motivierte für das Training ungemein, endlich ein
greifbares Ziel vor Augen zu haben.


So zogen die Trainingswochen
ins Land und ehe man sich versah, war es auch schon Mitte August. Die Abreise
in den Schwarzwald stand unmittelbar bevor. Da wir glücklicherweise mit unserem
Campervan anreisten, konnte ich diesen Trip ins Unbekannte vorab bis ins
kleinste Detail planen und alles ins Auto verladen. Sonnenschutz, Regenschutz,
Kälteschutz (wir weilten schließlich auf über 1000 Meter über Normalnull), die
freie Rolle (wo um alles in der Welt war diese noch gleich abgetaucht?),
Skinsuits für jeden Renntag, Essenvorräte (denn was werden wir Unmengen an
Kalorien verbrennen) und so weiter und so fort. Ich sage euch, das Platzangebot
im VW Crafter ist groß.
Wir reisten bereits am Vortag
an und nutzten die Zeit zum Akklimatisieren, Akkreditieren und Aufsaugen der
besonderen Atmosphäre im Fahrerlager. Es ist beeindruckend, wenn so viele
Sportler mit der gleichen Motivation an einem Ort zusammenkommen. Was ich
übrigens nicht wusste war, dass scheinbar 80 Prozent aller
Wettkampf-Radsportler auch im Besitz eines mobilen Zuhauses sind. Außenstehende
haben sicher angenommen, dass es sich um eine Caravan- und Campingmesse handelt
– so groß war die Auswahl und Vielfalt der verschiedensten Caravantypen.

So bevor ich abschweife, sollte ich mich nun aber dem Kern der bunten Reise widmen: Dem Rennen fahren. 4 Etappen, rund 230 Kilometer, über 6000 Höhenmeter, 2 Etappenorte – so lautete der Plan für die nächsten Tage.
Tag 1: Schnell, heiß, staubig
Ich war so unglaublich
aufgeregt vor der ersten Etappe, dass ich fast gar nicht mehr klar denken
konnte. Die ganze Situation verschärfte die Tatsache, dass der Start erst um 15
Uhr war. So hatte ich also auch noch den ganzen halben Tag lang Zeit nervös zu
sein. Als wir uns dann in brütender Nachmittagshitze bereits medium gegart im
Startblock eingefunden hatten, war ich fast erleichtert, dass das Warten ein
Ende hatte und es endlich losging. Der erste Tag war sanft: Nur 22 Kilometer
mit 600 Höhenmetern versprachen ein schnelles Rennen für die rund 450 Starter.
Also perfekt für den Einstieg nach fast 11 Monaten Rennabstinenz. Wir
Elite-Frauen (also Fahrerinnen mit Rennlizenz) hatten einen eigenen Start im
Feld und dieser war so rasant, dass ich zunächst gar nicht wusste, wo vorne und
hinten ist. Nach ein paar Minuten fand ich aber ganz gut ins Rennen, das Feld
hatte sich etwas sortiert. Bei Kilometer 8 nutzte ich dann meine Chance und
setzte mich im Anstieg ab. Die Führung hielt ich sogar bis Kilometer 20, wo ich
dann in einer Schotterabfahrt hinunter ins Ziel von zwei Fahrerinnen überholt
wurde. Mit meinem überraschenden dritten Platz war ich aber extrem zufrieden
und somit voller Motivation für Etappe 2.

Tag 2: Bergauf – bergab. Was mag ich wohl lieber?
65 Kilometer, 2000 Höhenmeter
– das längste Rennen meines Lebens. Auch heute knallte die Sonne ohne Erbarmen
vom Himmel. Im Startblock verzeichnete der Garmin bereits um kurz vor 10 Uhr
eine Temperatur jenseits der 30 Grad Marke. Das Anfangstempo des Frauenfeldes
war heute zunächst etwas zahmer, jedoch verlor ich in der ersten
Schotterabfahrt den Anschluss an die Spitzengruppe. Die Etappe wartete mit 2
Runden auf, die jeweils mit einem rund 700 Höhenmeter langen Anstieg versüßt
waren. Eigentlich ein Fest für mich als Bergfahrerin. Mit den Abfahrten kam ich
heute jedoch überhaupt nicht zurecht und verlor dort so viel Zeit und Kraft,
die ich bergauf überhaupt nicht mehr gut machen konnte. Dennoch hielt ich meine
Leistung recht konstant – auch, wenn mir die Hitze sehr zu schaffen machte. Man konnte gar nicht
so schnell nachtrinken, wie man es wieder ausschwitzte. Am Ende reichte es für
den 7. Platz und ich war froh, diese Etappe gemeistert zu haben. Fazit des
Tages: Es nutzt dir nichts, wenn du nur berghoch schnell bist! Trotzdem war ich
mit mir selbst zufrieden – und das ist schließlich das aller Wichtigste.
Tag 3: Von allem etwas bitte.
Ein völliges Kontrastprogramm
bot der Rennmorgen der 3. Etappe. Regen prasselte aufs Dach, hektisch wurden
dicke Jacken und Mützen übergeworfen. Wo um alles in der Welt war jetzt plötzlich
der Hochsommer hin? Und das ganze ausgerechnet am Tag der Königsetappe. 75
Kilometer, über 2000 Höhenmeter, sehr technisch. Somit ein neues längstes
Rennen meines Lebens. Kurz, aber wirklich nur ganz kurz hatte ich überlegt auf
einen Start zu verzichten, weil ich so viel Respekt vor den nassen und
schlammigen Trails hatte. Aber es überwog natürlich die Willensstärke und so
ging es wieder um Punkt 10 Uhr los auf die lange Etappe. Der Wettergott hatte
sogar ein Einsehen und schloss die Regenschleusen recht zeitig. So war es zwar
weiterhin noch schlammig und feucht, jedoch kam von oben nichts Nasses mehr
nach. Ich verlor schnell den Überblick im Feld und fuhr einfach mein eignes
Tempo. Zu meinem eignen Erstaunen lagen mir die technischen Passagen deutlich besser
als die „schwimmschottrigen-Waldautobahn-Abfahrten“. Das Rennen wurde immer
besser und ich konnte mein Tempo insbesondere in den wurzeligen Trailauffahrten
noch einmal steigern. Im Ziel reichte meine Performance dann sogar für den 6.
Platz und damit war ich wirklich mehr als glücklich! Ich fragte mich nur, wie
ich jemals den Gedanken haben konnte, nicht starten zu wollen.

Tag 4: Alles hat ein Ende…
Die Beine und der Körper
zeigten sich vom Gefühl her auch nach 3 Renntagen am Stück noch in erstaunlich guter
Konstitution und ich war gespannt, ob sich dieser Eindruck auch während des
Rennens bestätigen würde. Die letzte Etappe hielt noch einmal 75 Kilometer und
rund 1500 Höhenmeter bereit. Der Start war recht verhalten, das Frauenfeld
blieb lange zusammen. Ich wiederholte meine Defizite jeden Tag aufs Neue und
verlor den Anschluss an die Spitzengruppe irgendwann in einer Abfahrt. Am Berg
kämpfte ich mich dann stets wieder ein paar Plätze nach vorne, um diese dann
bergab wieder einzubüßen. Deswegen freute ich mich umso mehr auf Kilometer 40,
denn ab dort sollte es laut Höhenprofil nur noch stetig bergauf gehen bis ins
Ziel. Ich nutzte meine Chance und setzte mich in der Verfolgergruppe ab.
Glücklicherweise konnte ich meine Position halten und als 5. Frau ins Ziel fahren.
Im Gesamtklassement reichten meine Platzierungen der der letzten vier Renntage
für den 6. Platz.
Mein Resümee nach meinem
ersten Etappenrennen?
Es war eine echte
Achterbahnfahrt. Mit Höhen und Tiefen. Mit Momenten, in denen ich mich
ernsthaft gefragt habe, warum um alles in der Welt ich mich für ein
Etappenrennen angemeldet habe. Aber im nächsten Augenblick wusste ich es
wieder: Weil ich den Radsport liebe. Weil ich nichts anderes tun möchte.
Rückwirkend betrachtet spiegeln diese 4 Tage die intensivsten
Radsporterfahrungen meines Lebens wieder. Ich bin am ersten Tag in eine Blase
abgetaucht – in eine Welt, die 4 Tage lang nur aus schnell Radfahren, Essen,
Erholen und Schlafen bestand. Das mag für außenstehende Nichtsportler
vielleicht etwas ernüchternd klingen, doch diese kleine Welt ist alles, was wir
Leistungssportler brauchen. Unser Lebenselixier ist der Radsport und ein Etappenrennen
ist somit wie ein all-inclusive Urlaub. In diesem werden die hart erarbeiteten
Trainingsergebnisse nach außen getragen und man kann sich endlich mit anderen
Sportlern messen. Ich war wie im Rausch – ein Flow, der gefühlt noch ewig hätte
weitergehen können. So kam nach der Zieleinfahrt der letzten Etappe fast Wehmut
auf. Schon vorbei? Ich will am liebsten einfach weiterfahren. Ob ich noch
einmal ein Etappenrennen fahre? Sagt mir wann, ich bin dabei!


Und nun zu guter Letzt: Danke
an das Team vom Rothaus Bike Giro, das ihr dieses tolle Event möglich gemacht
habt. Es war eine große Freude bei euch zu Gast zu sein und ihr habt diese 4
Tage zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht. Die Strecken, die Organisation
und eure Kompetenz – das war wirklich ein Fest.
Danke auch an meinen Trainer
(training-mit-koepfchen.de), dass du mich bestens auf diese Reise vorbereitet
hast. Ohne deine perfekte Planung hätte das Projekt niemals funktioniert. Danke
auch an alle, die mich am Streckenrand angefeuert haben – insbesondere an die
Betreuer der EFG Bunstruth Racing – das hat mich sehr gepusht.
Während ich nun die letzten
Tage schon nach einer neuen Herausforderung forschte, kam die Meldung, dass es
in diesem Jahr tatsächlich doch noch eine Deutsche Meisterschaft im Marathon im
Rahmen des Odenwald Marathons geben wird. Somit gibt es jetzt tatsächlich noch einen
greifbaren Wettkampf für mich. Ich freue mich schon auf die nächsten
Trainingswochen.
Bis
dahin: Keep on riding,
Vanessa
Was ich noch völlig vergessen
habe: Den Schwarzwald! Ich war nämlich völlig geplättet, wie schön es dort ist.
Fälschlicherweise habe ich mit dem Schwarzwald stets ein langweiliges Rentner-Wander-Paradies
assoziiert. Nun wurde ich aber eines Besseren belehrt: Beeindruckende Täler,
sanfte Almwiesen mit glücklichen Milchkühen, idyllische Holzhäuser in den Weiten
der Berghänge, Ausblicke bis ins Alpenvorland, glasklar Badeseen und das Ganze
wenig touristisch überlaufen. Das ruft also dringend nach weiterer Erkundung
meinerseits unter der Rubrik „Fahr doch mal hin“. Ich werde berichten.


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