Hessenmeisterschaft Marathon Titmaringhausen: Besser spät als nie.

Es gab früher in meinen Radsportleranfangsjahren Zeiten, da waren die Landesmeisterschaften etwas richtig Großes, ehrenvolles, ein Highlight im Rennkalender. Jetzt berichte ich schon von „früher“ – ein signifikantes Indiz, dass ich scheinbar alt werde. Nein Spaß beiseite: Heute erweckt es den Anschein, dass die Landesmeisterschaften gar keinen Stellenwert mehr haben. So wurde nun mehr die Hessenmeisterschaft im Marathon an das äußerste Ende der Saison geschoben. Bekanntgabe? Fehlanzeige. Es erforderte schon kriminalistischen Spürsinn beim Durchforsten des BRD-Kalenders. Was nämlich bei einigen Sportlern für große Verwirrung sorgte, war der Austragungsort Titmaringhausen. Mitten im tiefsten Sauerland im Bundesland Nordrhein-Westfalen. An dieser Stelle: Der Marathon war toll organisiert vom Radwerk Upland. Es war schön, bei euch zu Gast zu sein. Aber, dass sich in Hessen kein Ausrichter für Landesmeisterschaften mehr findet, finde ich persönlich schon traurig. Sicher sind damit Kosten und Aufwand verbunden. Gleichzeitig ist es aber doch auch eine Ehre und ein Magnet für gute Radsportler. Aber gut - es ist wie es ist, sagt der Sport!

Also machten wir uns am vergangenen Samstag auf den Weg nach Titmaringhausen zum Drei-Täler-Marathon. Denn ich freute mich auf die Hessenmeisterschaft, egal wo und wann sie auch stattfand und hatte ein Ziel: Die Titelverteidigung! Beim dortigen Marathon bin ich bereits vor vielen Jahren einmal gestartet und kramte somit im Vorfeld nach Erinnerungsfetzen an die Strecke. Zu Tage kamen Gedankenstücke an einen engen Start, eine brutale Einführungsrunde, knietiefe Bachdurchfahren, eine verschlammte Wasserrinne mit 50 Prozent Gefälle und Höhenmeter, Höhenmeter, Höhenmeter. Bis auf letzteres klang dies für mich nicht allzu verlockend. Doch es war dann vielleicht viel mehr an der Zeit neue Erinnerungen zu schaffen. Und eventuell das Urteil von damals zu revidieren?

Mein Menü des Renntages für mich: 60 Kilometer und 1550 Höhenmeter verteilt auf vier lange Berge. Am Start erblickte ich viele starke Fahrerinnen und Fahrer aus den Niederlanden, da auf der Strecke auch ein Cup unseres Nachbarlandes ausgetragen wurde. Die Region rund um Winterberg und Willingen ist ja ohnehin ein weiter Ausläufer der Niederlande. Alle Ansagen waren somit zweisprachig.

Nach dem Startschuss wählte ich meine bewährte Renntaktik mit der Führungsgruppe der Männer zu flüchten. Auf der sechs Kilometer langen Einführungsrunde wurde dann am ersten Berg direkt eine Attacke gesetzt. Das Tempo war zügig, aber für mich noch durchaus machbar. Zumindest brannten meine Beine und Lungen noch nicht, was bei einem längeren Rennen auf den ersten Kilometern sicher ein bedeutender Vorteil ist. Ein Blick zurück zeigte mir, dass die Lücke zu meinen Verfolgerinnen bereits groß war und ich hielt mein Tempo konstant hoch. Auf die Einführungsrunde folgte die 25 kilometerlange Hauptrunde, die es noch zweimal zu durchfahren galt. Den Beginn der Runde markierte die gefürchtete Bachdurchfahrt (diesmal aber nur Rinnsal statt Sturzbach – muss am trockenen Sommer liegen). Also konnte ich den folgenden ewig langen Anstieg trocken ansteuern. Der Berg war wie gemacht für mich. Ich fand in einen gleichmäßigen Rhythmus. Die Abfahrt war ebenfalls ein Traum: flowige, staubtrockene Trails gespickt mit einigen technischen Passagen. Retour durch den Ort wechselten wir die Seite und erklommen über einen ebenfalls langen Anstieg den kahlen Pön mit beindruckender Weitsicht. Bergab wartete ein trailiges Teilstück des Rothaarsteiges. Zurück im Start-Ziel-Bereich ging das gleiche Spiel von vorne los. Also die Runde noch einmal. Rundenkurse können Fluch und Segen sein. Vorteil: Man kennt die Runde bereits. Nachteil: Man kennt eben alles bereits und fürchtet, was einen erwartet. Bei mir war der schöne Rundkurs heute ein Segen. Die zweite Runde fuhr ich im Prinzip im gleichen Rhythmus mit dem gleichen Tempo. Ohne Einbruch, ohne Probleme. Ein echtes Fest!
Phasenweise war ich ganz alleine auf weiter Flur – wann ist man schließlich schon mal ganz bei sich?! – ohne Sichtkontakt zu anderen Sportlern. Dies führt bei mir immer zu leichter Verunsicherung, ob ich nicht irgendwo einen Abzweig verpasst habe. Auch, wenn man es als Außenstehender kaum glauben mag, ist so ein Rennen für mich „Urlaub für den Kopf“. Man ist fokussiert, ganz bei sich, macht sich keine wirren Gedanken über irgendetwas Belangloses und wird von unendlichen Glückhormonen geflutet. Hardcore-Achtsamkeitstraining – eine echte Marktlücke würde ich behaupten.

Vor dem letzten Anstieg bekam ich die Information, dass mein Vorsprung über 10 Minuten beträgt. Mit diesem Wissen überkam mich eine große Vorfreude auf die Zieleinfahrt und ich genoss die letzten Kilometer. Nach 2 Stunden und 37 Minuten Fahrtzeit freute ich mich dann über den Gesamtsieg. Mit meinem Sieg darf ich den Hessenmeistertitel im Marathon nun ein weiteres Jahr tragen.



Es war ein unglaubliches Rennen für mich. Ich konnte jede einzelne Sekunde genießen und bin glücklich, dass ich mein letztes Saisonziel für 2019 erreichen konnte. Und zu guter Letzt, damit es nicht unter den Tisch fällt: Meine dramatisierten Erinnerungen an das Rennen in Titmaringhausen wurden komplett revidiert. Scheinbar mochte ich damals noch nicht das gleiche wie heute. Denn ich bin selten eine so tolle Marathonstrecke gefahren! Einen Start beim Drei-Täler-Marathon kann ich unbedingt empfehlen.
 

Noch ein letztes Mal werde ich in dieser Saison an der Startlinie stehen. Und dies wird traditionell nächsten Sonntag beim Dünsberg Marathon in Biebertal sein. Ich freue mich!

Bis dahin: Keep on riding,

Vanessa
 
Zitate:

„Nächstes Jahr sind die Hessenmeisterschaften dann im Oktober in Mexiko.“

„Du hast ja die WM verpasst.“

            „Ich habe auch die Quali verpasst.“

„Das war ja ein Energiegel-Massaker.“
"Du produzierst ja kein Laktat, sonst würden bei 8000 Watt die Beine brennen."

 

 



 


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