Viva Willingen! - Das Bikefestival in Willingen (von Evelyn)
Nachdem ich schon im letzten Jahr das bestechende Flair des
Bikefestivals in Willingen genießen konnte stand dieser Termin auch in diesem
Jahr wieder auf meinem Rennplan.
Und nach fast einem Monat ohne Startnummer am Lenker war es
auch mal wieder Zeit ins Renngeschehen einzugreifen.
Denn die Wochen davor hatten sich für mich schwierig
gestaltet. Statt Kilometern oder Höhenmetern sammelte ich fleißig
Taschentücher, statt Shakes gab es Tee und statt Training nur das Sofa: eine
Mandelentzündung hatte mich niedergestreckt und forderte nun absolute Ruhe.
Doch die Woche vor dem besagten Wochenende durfte ich wieder ins Training
einsteigen. Leider muss ich bereits am ersten Anstieg feststellen: es läuft noch
nicht wieder so richtig. Ich verschob den Trainingsstart also auf die Woche
nach dem Bikewochenende in Willingen und schonte meinen Körper im Hinblick auf
den Marathon am Samstag.
Und am Freitagnachmittag ging es dann auch endlich los.
Zusammen mit meinem Lieblingsmenschen, meinem geliebten Bike und acht bis zehn
Taschen lebenswichtigem Equipment machten wir uns auf den Weg ins Sauerland.
Erster Halt: unser heutiges Quartier, die Jugendherberge in Brilon. Einchecken,
die Information zur Kenntnis nehmen, dass die Räder in den offen zugänglichen
(!!!) Trockenraum kommen, überzeugend lächeln und denken: das werden wir ja
sehen.
Der nächste Halt ist dann Willingen. Wieso wir nicht in
Willingen nächtigen? Weil ich mich wohl doch etwas spät um eine Unterkunft bemüht
habe. Woher sollte ich denn wissen, dass es so viele Biker nach Willingen
zieht? Achso, war offensichtlich.
Der nächste Punkt auf meiner Liste ist die Eindeckung mit
Nahrungsmitteln für das morgige Campingfrühstück. Im Supermarkt, der
praktischerweise nur über die Straße gelegen ist, sind heute Biker jeder Liga
anzutreffen. Marathonfahrer mit Quark und Haferflocken. Enduro-Fahrer mit
Energydrinks und Chips. Downhillfahrer mit Alkohol und Grillgut. Ich werde prompt
darauf hingewiesen, dass Schokocrossaints ungesund sind. Sehe ich selbst mit Flatcap, schwarzer Sonnenbrille und Kettenwixe-Tshirt so sehr aus
wie ein Marathon-Streber?
Einen Gang weiter treffen wir uns wieder. Er bei der Sauce
Hollondaise, ich mit Weintrauben. Und so fängt er sich einen Spruch zum Thema
Kalorien- und Fettreserve ein, allerdings mit dem selben Augenzwinkern wie er zuvor bei
mir.
Es geht zurück nach Brilon, wo wir uns in einer Pizzeria für
den morgigen Tag stärken. Dabei werden minutiöse Pläne geschmiedet, die
allerdings einen Haken haben: wie man es dreht und wendet, um 04:30 muss der
Wecker klingeln. Mit diesem Hintergedanken sind wir früh zurück in unserer
Jugendherberge, wo ich allerdings erleichtert feststelle, dass die Rezeption
schon nicht mehr besetzt ist. Also ab das Bike aus dem Kofferraum holen und die
Treppen hoch tragen, bis in den dritten Stock. Dem Himmel sei Dank für Carbon.
Nach einer kurzen Nacht in einem für zwei Personen sehr
engen Bett, dafür aber mit Blick auf mein Bike, raffen wir uns am morgen dann
wirklich auf. 04:30 Uhr aufstehen, 05:00 Uhr los fahren, 05:17 Uhr Ankunft. So
richtig wach bin ich immer noch nicht, aber in 1,5 Stunden ist schon die
Startaufstellung vorgesehen.
Auf dem regennassen Parkplatz breiten wir unsere Picknickdecken
aus und frühstücken ausgiebig. Also so ausgiebig wie man eben mitten in der
Nacht so frühstückt. Also eigentlich gar nicht, aber irgendwo muss die Energie
ja herkommen, wenn auch nicht aus dem schwächelnden Körper.
Mittlerweile füllt sich der Parkplatz und das
Renn-Kribbeln kommt zurück. Trikot an, Startnummer ans Rad und auf geht’s zum
Warmfahren. Während ich so meine Runden drehe habe ich einen tollen Blick auf
das Gelände: die Bike-Expo, die Seilbahn, die nebeligen Wälder rings um Willingen.
Es hat in der Nacht ordentlich geregnet, doch bereits jetzt deutet sich an,
dass es ein schwül-warmer Tag werden wird.
Das riesige Starterfeld des größten Marathons in Deutschland
ist in vier Startblöcke aufgeteilt. Zuerst starten A und B, dann eine halbe
Stunde später C und D. Meine Startnummer verrät allen nicht nur meinen Namen,
meine Nationalität und mein Team, sondern auch dass ich das Privileg habe, im
Startblock A zu starten. Im letzten Jahr stand ich im Startblock B, von wo aus
ich einen ehrfürchtigen Blick auf die Starter des ersten Startblocks geworfen
habe. Und jetzt stehe ich hier, mit den echten Stars der Marathonszene und
fühle mich etwas fehl am Platz. Gott sei Dank habe ich, wie durch Zufall bei
den sanitären Anlagen, meine Mitfahrerin Dani getroffen, die nun neben mir im
sich füllenden Startblock steht. Als wir uns in die Startzone begaben gingen
wir davon aus, nun am relativen Ende von Startblock A zu stehen. Nur leider kam
gut die Hälfte der Starter erst nach uns und stellte sich hinter uns auf.
Schlussendlich standen wir also irgendwo im vorderen Drittel des stärksten
Startblocks. Oha.
Für mich kam heute ohnehin nur die „Kurzstrecke“ in Frage.
54 Kilometer, fast 1500 Höhenmeter. Im Sauerland ist jeder normale
Mountainbikemarathon schon krass, aber Willingen ist auf vielerlei Weisen
legendär.
Noch eine Minute. Die Musik wird lauter, epischer,
mitreißender. Ich habe bestimmt bereits jetzt einen 120er Puls. Noch 30
Sekunden. Oh Gott, was tue ich hier. Noch 10 Sekunden. Einklicken. Und los.
Erstaunlicherweise kommen wir wirklich gut weg und erreichen nach der ersten
Abfahrt in die Stadt sicher den ersten Anstieg. Jetzt heißt es nicht zu
schnell, aber so zügig wie möglich durchkommen.
Die Taktik von Dani und mir ist simpel: Zusammenbleiben und Kräfte
aufteilen. Und das läuft am Berg Bombe.
Die erste Abfahrt kommt viel zu früh in Sicht, denn das Feld
ist immer noch sehr dicht. Ich sehe vor mir einen Sturz, der mir die Haare zu
Berge stehen lässt. Ganz ruhig. Doch dann werde ich unsanft überholt,
selbstverständlich ohne Ansage. Der Fahrer streift meinen Arm, bleibt an meinem
Lenker hängen und geht über den Lenker. Ich strauchle natürlich auch und mache
eine Vollbremsung, um den Gestürzten nicht zu überrollen. Statt mich zu fragen,
ob ich vielleicht verletzt bin oder sich gar zu entschuldigen, rennt der Fahrer
einfach drauf los und springt wieder auf sein Rad. Na vielen Dank. Dieses
Manöver hat Zeit und Nerven gekostet. Dani wartet an der nächsten Ecke auf mich
und gemeinsam geht es weiter. Bis zum nächsten Downhill. Wieder werde ich ohne
Ansage überholt, wieder erwischt der Fahrer mich, wieder straucheln wir,
diesmal beide mit Bodenkontakt. Diesmal kann ich mich nicht zurück halten und
fluche laut drauflos. Gegen das Überholen an sich ist natürlich nichts
einzuwenden, aber ohne Ansage und an den steilsten Stellen ist es meiner
Meinung nach einfach nur eine Gefahr für alle Beteiligten. Ich bin schon jetzt
bedient von jedem abschüssigen Trail und von der Startermasse, die absolute
Konzentration erfordert. Und am nächsten Anstieg kommt dann das eigentliche
Problem zum Vorschein: Ich bin einfach noch nicht wieder fit. Mir fehlt die
letzte Kraft, um mich heute durchzubeißen. Zudem habe ich die Startliste
gesehen und weiß: bei dieser (internationalen) Konkurrenz ist heute ohnehin
nichts zu machen. Deshalb schalte ich vom Renn- in den Überlebensmodus.

Nach 27 Kilometer erwartet uns am Edersee die Verpflegungsstation,
wo wir uns im Vorbeifahren einen Becher Iso in die Hand drücken lassen. Auf
geht’s in die zweite Streckenhälfte. Dank unserer guten Einteilung haben wir
noch genug Kraft und kommen weiter gut voran. Kurz vor Kilometer 30 taucht dann
allerdings das nächste Problem auf. Mein Bautenzug ist gerissen, sodass ich nur
noch sehr begrenzt Zugriff auf meine Schaltung habe. Na toll, und das auch noch
im höhenmeterlastigen Sauerland. Allein wäre spätestens hier, demoralisiert, schwächelnd und nun auch noch technisch
eingeschränkt, Schluss gewesen. Aber diese Rechnung habe ich ohne Dani gemacht,
die mich auf jeden Fall mit über die Ziellinie schleppen will. Also fahren wir
weiter. Auf den wenigen flachen Abschnitten, wo man so schön Tempo machen
könnte, muss ich mit einer gefühlt 2000er Trittfrequenz irgendwie voran kommen,
dafür läuft es am Berg immer noch ganz gut.
Als dann endlich die Skisprungschanze in Sicht kommt, sind
wir dann aber doch am Ende. Der letzte Anstieg hoch in den Downhillpark steht
an. „Los, nochmal Gas geben“ rufen die Zuschauer uns aufmunternd zu. Gas
geben?? Nicht absteigen und schieben oder nicht umfallen sind eher meine Ziele.
Doch wir schaffen es. Dank Danis unbändigen Optimismus. Und da ist es: Das
Ziel. Wir rollen gemeinsam in den Zielbereich, Hand in Hand natürlich und
feiern uns, als hätten wir gerade den Weltcup gewonnen.
Eigentlich wollte ich ja gar nicht mehr auf die
Ergebnisliste schauen, um mich nicht total zu demotivieren. Tue ich aber dann
doch. Insgesamt hat es bei mir heute für Platz 17 bei den Frauen gereicht.
Klingt erstmal grausam, aber von 102 Frauen, die teilgenommen haben, ist das
eigentlich ziemlich gut. Die Beine waren
gut, die Ausdauer ist auch da, aber die Kraft lässt zu wünschen übrig, was der
zeitlich unpassenden Mandelentzündung geschuldet ist. Mir hat einfach noch die
Power gefehlt, die man für ein Rennen braucht. Die Explosion nach dem Kribbeln
am Start.
Aber die Saison ist ja noch lang. Jetzt heißt es voll
auskurieren und trainieren, trainieren, trainieren.
An dieser Stelle möchte ich nochmal Danke sagen. Danke an
Dani, die mich ins Ziel motiviert hat. Es hat wieder sehr viel Spaß gemacht mit dir zu racen! Danke an Vanessa für die lieben Worte und Aufmunterungen!
Und danke an meinen allerliebsten Lieblingsmenschen für die
Rennbetreuung!
Keep on riding,
Evelyn
Zitate des Tages:
"Oh schau mal, ein Insektenhotel!
- so ist es richtig, wir freuen uns auch über die kleinen Dinge im Leben!"
"Da ist er wieder, der Spiderman! Kannst du auch nicht mehr oder atmest du immer so?"
"Wo ist denn hier mein technischer Support?"
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